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STADTGEFLÜSTER

Das Emaillierwerk und seine Bedeutung für die Stadt

Von Haushaltswaren zum Einkaufserlebnis: Das Emaillierwerk in Fulda hat eine beeindruckende und erfolgreiche Geschichte.

Einst ein stattliches Fabrikgebäude und größter Arbeitgeber der Region – heute ein modernes Shopping- und Dienstleistungszentrum in historischen Mauern: Das Emaillierwerk in Fulda hat eine beeindruckende und erfolgreiche Geschichte, die auch heute längst noch nicht vorbei ist.

 

Emaillierte Haushaltswaren im 19. Jahrhundert

 

Vater der Erfolgsgeschichte ist Franz Carl Bellinger, der am 21. Mai 1842 als sechstes von zehn Kindern geboren wurde. Nach seiner Lehr- und Wanderzeit arbeitet Franz Carl in der Werkstatt der Fuhrhalterei seines Vaters Benedikt in Hosenfeld. Die Firma stellte Garten- und Haushaltswaren aus Messing, Zinn und Blech her. Mit der Einführung der Gasversorgung in Fulda führten sie zudem die Produktion der hierzu notwendigen Rohre und Apparaturen ein. Obwohl Benedikt Bellinger 1863 mit erst 58 Jahren verstarb, wartete die Mutter Franz Carls bis nach dessen Hochzeit 1867, bis sie ihrem Sohn den Betrieb offiziell übergab und sich aus dem Geschäft zurückzog. Der Tag des Vertragsschlusses gilt als Gründungstag der Fuldaer Emaillierwerke AG.

Zu Beginn der 1870er Jahre arbeiteten etwa zehn Gesellen und Lehrlinge in Bellingers Klempnerwerkstatt, sie alle bei der Familie Unterkunft und Verpflegung erhielten. Neben verzinntem Eisenblech verarbeitete das Unternehmen zunächst auch Schwarzblech für Küchengeräte. Mit der Umstellung auf die Herstellung von emaillierten Haushaltswaren für einen Massenmarkt begann für Bellingers Betrieb der Durchbruch. Dazu nutzte er das neue Verfahren der Stahlproduktion und Herstellung des ungiftigen Überzugs für die Produktion emaillierten Blechgeschirrs, das Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Diese neuen, industriell hergestellten Produkte sollten handwerkliche Erzeugnisse aus Keramik ersetzen.

 

Umzug an die Petersberger Straße

 

Um den Massenmarkt zu bedienen, dehnte Franz Carl mit seiner Frau und seinem Schwager die Produktion gewaltig aus und schuf mit den neuen Werkstätten an der Petersberger Straße mit Anbindung an die Bahngleise – Standort des heutigen Emaillierwerks – bis 1914 ein Unternehmen von Weltrang, das mit mehr als 1000 Arbeitern zum größten deutschen Unternehmen dieser Branche aufgestiegen war. Auch der Anschluss Fuldas an das Eisenbahnnetz und somit der Start der Industrialisierung legte für diese Entwicklung den Grundstein. Mit dem 25-jährigen Firmenbestehen 1892 wurde der Firmenname in „Fuldaer Stanz- und Emaillierwerke F.C. Bellinger zu Fulda“ geändert.

Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren die Emaillierwerke mit 1200 Beschäftigen auch größter Arbeitsgeber und Steuerzahler der damals 23.000 Einwohner zählenden Stadt Fulda. Während des Ersten Weltkrieges produzierte das Werk kriegsrelevante Materialien wie Stahlhelme – die Anzahl der Beschäftigten stieg auf 1500. Nach dem Krieg wurde eine neue, zweistöckige, später unter Denkmalschutz gestellte Fabrikationshalle gebaut, in der erstmals Stanz- und Emaillierwerk in einem Gebäude zusammengeführt wurden. Dies brachte auch eine erhebliche Steigerung der Fertigung mit sich. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden 300 weitere Fachkräfte eingestellt. Allerdings erlebte Bellinger selbst das ganze Ausmaß dieser starken Entwicklung nicht mehr mit, da er am 23. August 1900 verstarb. Seine Frau und seine Söhne Carl Joseph und Ludwig führten sein Vermächtnis weiter.

 

Städtebaulicher Masterplan

 

Trotz der neunzigprozentigen Zerstörung der Fabrikanlage im Zweiten Weltkrieg verhalf der hohe Exportanteil Fulda zu weltweiter Bekanntheit. Doch auch der gute Ruf konnte nicht verhindern, dass die Produktion 1963 im Zuge der Deindustrialisierung eingestellt wurde. 1969 wurde bei einer Auktion der Schlusspunkt hinter 100 Jahre Firmengeschichte gesetzt. Der Niedergang war zugleich der Beginn einer Brache, die fast ein halbes Jahrhundert lang andauerte. Erst in den 2000ern verfolgte die Stadt einen städtebaulichen Masterplan, um das Industriedenkmal zu erhalten. Der Standort Emaillierwerk sollte durch ein zeitgemäßes Einkaufszentrum mit historischem Charme nachhaltig zum Leben erweckt werden, das zugleich den Geist der Vergangenheit erfahrbar macht. In diesem Zuge erfolgte Ende 2009 ein Teilabriss und die Vorbereitungen für den Neubau der nicht schützenswerten Baukörper. Dies hatte – unter Berücksichtigung bauhistorischer Besonderheiten – eine umfassende Neugestaltung und Aufwertung des gesamten Areals zur Folge.

Die denkmalgeschützte, ehemalige Produktionshalle blieb erhalten und wurde in den Neubau integriert. Die klassische Natursteinfassade verleiht dem Gebäude noch heute ein unverwechselbares Äußeres. Mit der Eröffnung im Oktober 2011 endete der über 40-jährige Dornröschenschlaf. Ein Jahr später zeichnete die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) das Emaillierwerk als einziges Einkaufszentrum in Hessen mit dem DGNB-Zertifikat in Gold aus.

 

Würdiger Abschluss 

 

Dies hätte Franz Carl Bellinger sicherlich als würdigen Abschluss seines Schaffens mit dem Emaillierwerk gesehen – immerhin gelang ihm der Aufstieg aus bescheidenen Verhältnissen zum wichtigsten Fabrikanten der Stadt und wurde zu einer der bestimmenden Fuldaer Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Respekt, den die Fuldaer für ihn empfanden, zeigt sich auch in dem aufwendig im neoklassizistischen Stil errichtetem Grabmal, das an markanter Steller am Hauptweg des Friedhofs am Franzosenwäldchen liegt – ganz in der Näher seiner einstigen Wirkungsstätte.

 

WAS IST EMAILLE? Emaille, auch Email, bezeichnet eine Masse anorganischer Zusammensetzung, die durch Schmelzen, Fritten oder Sintern – der kurz vor dem Zusammenschmelzen abgebrochene Schmelzvorgang – in meist glasig erstarrter Form hergestellt wird. Diese Masse wird in einer oder mehreren Schichten auf das Trägermaterial aufgebracht und bei hohen Temperaturen und kurzer Brenndauer geschmolzen. Der so entstehende Überzug soll Gebrauchsgegenstände und verfahrenstechnische Apparate vor Korrosion schützen. Diese besondere Funktion von Emaille ist eine bedeutende Neuerung des 19. Jahrhunderts: Ältere Emailarbeiten haben durchweg Schmuckcharakter. Zudem dient Emaille oft zur Dekoration der Trägermaterialien, indem beispielsweise farbige Oxide hinzugefügt werden. Die Oberfläche ist in der Regel sehr glatt und porenfrei und lässt sich leicht reinigen sowie pflegen. Hauptsächlich wird das Verfahren der Emaillierung bei Kochtöpfen und Geschirr eingesetzt. Noch heute kann man sich zum Emaillierer ausbilden lassen.