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STADTGEFLÜSTER

Von Merga Bien und Balthasar Nuß

Die Geschichte der Hexenverfolgung in Fulda ist gut dokumentiert.

Bevor wir uns gedanklich in die Fuldaer Geschichte stürzen, sei klargestellt: Die Hexenverfolgung ist entgegen des gängigen Eindrucks nicht etwa ein Relikt aus dem tiefsten Mittelalter, sondern dauerte in Deutschland vereinzelt noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts an – also bis zur frühen Neuzeit. In der Region Fulda liegt der Fokus vor allem auf wenigen Jahren zwischen 1603 und 1606, in denen mindestens 250 Frauen, aber auch einige Männer nach abstrusen Anschuldigungen und Folter auf dem Scheiterhaufen ihr Leben verloren, während andere sich daran bereicherten. Dank Nachforschungen und Veröffentlichungen verschiedener Fuldaer Heimatforscher sind die Schicksale dieser Menschen und die Orte, an denen sie passiert sind, auch heute noch nachvollziehbar. Man kann ihre Geschichten erzählen. 

 

„Gute“ Kontakte

 

An einem Mann führt vermutlich kaum eine dieser Geschichten vorbei, bei ihm laufen alle Fäden zusammen: Der Fuldaer Zentgraf und Malefizmeister Balthasar Nuß aus Brückenau koordinierte Anschuldigungen und sogenannte Hexenprozesse – und vor allem damit einhergehende finanzielle Bereicherungen für sich selbst.

Aber von vorne: Seine Ämter erreichte Balthasar Nuß vor allem durch die Unterstützung und Fürsprache des Fuldaer Fürstabts Balthasar von Dernbach. Letzterer befand sich nach erheblichen Auseinandersetzungen mit Fuldaer Räten, Bürgermeistern und Rittern ab 1576 im Exil auf Schloss Bieberstein. Der Grund dafür: Als Fürstabt des damals noch – man glaubt es kaum – lutherisch geprägten Fuldas hatte er mit fragwürdigen Methoden Fuldaer Bürger dazu gezwungen, zum katholischen Glauben überzutreten.

Von Dernbach ernannte Nuß aus dem Exil heraus zunächst zum Oberförster der zum Amt Bieberstein gehörenden Wälder und zum Stallmeister des Schlosses, bevor er in den Jahren 1591 und 1592 durch persönliche Fürsprache dafür sorgte, dass sein Schützling zum Zentgrafen von Hofbieber aufstieg. Nach der Wiedereinsetzung von Dernbachs als Fuldaer Fürstabt im Jahr 1602 profitierte Balthasar Nuß erneut von seinen guten Kontakten: Eine der ersten Amtshandlungen Balthasar von Dernbachs war es, Nuß als Zentgraf und Hexenrichter Fuldas einzusetzen und ihm die Direktion in „Peinlichen Blut und Zaubersachen“, also der Hexenverfolgung, zu übertragen. Von Dernbach muss sich dabei wohl sehr bewusst gewesen sein, warum er ausgerechnet Nuß in dieses Amt hob. Vor der Kritik einiger Stadträte, die den angehenden Zentgrafen und Hexenrichter aufgrund eines zuvor öffentlich begangenen vorsätzlichen Totschlages nicht im Amt sehen wollten, rechtfertigte er sich mit den Worten: „…er wolt in zum Zentgraffen haben und darzu er jenen gebrauchen wölt, darzu ließ sich nicht ein jeder ehrliche man vermögen…“.

 

Vier Jahre Hexenverfolgung

 

Während seiner Amtszeit als Zentgraf und Hexenrichter brachte Balthasar Nuß mindestens 250 Menschen auf den Scheiterhaufen, in manchen Quellen ist sogar von 270, teilweise von über 300 Menschen die Rede. Die Gründe für seine Härte im Amt dafür dürften nicht nur religiöser und politischer Irrglaube gewesen sein: Mindestens eine große Portion persönliche finanzielle Bereicherung lässt sich aus alten Dokumenten und Urteilen ebenfalls herauslesen. Immerhin trugen die Kosten für die Hexenprozesse, Versorgung der Beteiligten und sogar für Holz, Reisig und Stroh für die Scheiterhaufen stets die Angehörigen der Opfer. Insgesamt nahm man in vier Jahren 5.000 Gulden ein – gut die Hälfte, etwa 2.500 Gulden davon, unterschlug der Hexenrichter, sie flossen direkt in seine eigene Tasche. Zum Vergleich: Das entspricht etwa 42 Jahresgehältern eines damaligen Bürgermeisters. Nebenher bereicherte sich Nuß außerdem beispielsweise an üppigen Bier- und Weinlieferungen, die er angeblich zur Versorgung der Gerichtsangestellten, der Folterknechte und des Henkers bestellte, dann aber nicht etwa im Gericht, sondern in seinem eigenen Keller einlagern ließ.

 

Merga Bien

 

Beispielhaft für die Schicksale der 250 verfolgten, gefolterten und verbrannten Menschen ist in Fulda vielen die Geschichte von Merga Bien bekannt. Die meisten Fuldaer haben mit Sicherheit schon einmal die Skulptur des Künstlers Rudi Neuland näher betrachtet, die in der Löherstraße an die Hexenverfolgung in Fulda erinnert. Auch die gleichnamigen Musicalaufführungen der Petersberger Musicalfabrik Virtuoso e.V. erzählten 2013 und 2016 vom Leben und Tod der jungen Fuldaerin, die als angebliche Hexe unter Balthasar Nuß inhaftiert, gefoltert und verbrannt wurde. Als Anschuldigungen dafür entzerrte er – wie in vielen Fällen – Ereignisse aus ihrem Leben.

Wann und wo genau Merga Bien geboren wurde, ist nicht genau überliefert. Weil dokumentiert ist, dass ihr Vater Löher, also Gerber, war, vermutet man den Standort ihres Elternhauses in der Löherstraße. Im Alter von etwa 15 Jahren wurde Merga mit einem bereits ins Alter gekommenen Witwer, Wilhelm Franck, verheiratet. Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes erbte sie sein Vermögen, das sie zusammen mit ihrer Mitgift aus der Armut hob, die viele Frauen in ihrer Situation zur damaligen Zeit vermutlich eingeholt hätte. Gleichzeitig machte sie dieses Vermögen bei ihrer späteren Anklage allerdings auch angreifbar von Neid und Missgunst.

 

Herbeigezogene Anschuldigungen

 

Merga Biens zweite Ehe mit dem Kramer Christoph Ort endete im Tod ihres Mannes und ihrer beiden Kinder. Auch dieser Schicksalsschlag im Leben der jungen Frau wird Teil der Anklage von Balthasar Nuß – dass Mergas Familie allerdings vermutlich an der Pest starb und nicht aus ihrem bösen Willen heraus, zieht der Hexenrichter später nicht in Erwägung. Ihre dritte Ehe ging Merga daraufhin mit Blasius Bien ein.

1603 begann der Hexenprozess gegen Merga Bien. Wegen überfüllter Gefängnisse hielt Balthasar Nuß sie nicht wie die meisten Gefangenen im Turm des Stadtschlosses fest, sondern in einem hundehüttenähnlichen Käfig neben dem benachbarten Backhaus. Hauptpunkt der Anschuldigungen war Merga Biens Schwangerschaft, die in diesem Fall erst nach für damalige Verhältnisse ungewöhnlichen 14 Ehejahren eintrat. Dabei hätte Merga nach damals geltendem Recht gerade wegen dieser Schwangerschaft gar nicht erst inhaftiert und gefoltert werden dürfen. Obwohl Mergas Ehemann Blasius Bien diese Umstände nicht hinnahm und gemeinsam mit seinem Anwalt Stephan Wolff mit einer detaillierten juristischen Beweisführung für Mergas Unschuld plädierte, wurde seine Ehefrau nach 14 Wochen Inhaftierung und Folter im Herbst 1603 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Ebenfalls zählten zu den Anklagepunkten abstruse Anschuldigungen wie ein Flug über den Hünfelder Stadtgraben, angebliche Schadenszauber und Giftmischerei.

 

Und Nuß?

 

Dafür, dass Balthasar Nuß trotz der Abwegigkeit seiner Anschuldigungen hunderte Menschen inhaftieren, foltern, verurteilen und verbrennen konnte, sind vor allem zwei Umstände maßgeblich fördernd gewesen: Zur Durchsetzung seiner Anschuldigungen setzte er regelmäßig geltendes Recht außer Kraft, sogar die für Hexenprozesse in der „Carolina“ festgelegten Vorschriften. So konnte er nicht nur seine haltlosen und willkürlichen Anschuldigungen durchsetzen, die auch nach damaligem Gesetz kaum Gültigkeit aufweisen konnten, sondern auch unmenschliche Foltermethoden anwenden lassen. Letztere führten wiederum dazu, dass Inhaftierte unter Folter nicht nur die Vorwürfe gestanden, die ihnen selbst entgegengebracht wurden, sondern noch weitere „Hexen“ beschuldigten. So konnte Nuß sein Geschäft aufrechterhalten.

Am Ende wurde aber auch er verurteilt: Im Jahr 1606 nahmen die Hexenprozesse in Fulda mit dem Tode Balthasar von Dernbachs ein abruptes Ende. Erst dann trauten sich die Angehörigen der Opfer, bei ihrem neuen Fürstabt, Johann Friedrich von Schwalbach, Beschwerde einzulegen – allerdings nicht etwa wegen der Verbrennungen oder der Folter Unschuldiger, sondern vielmehr wegen der hohen Prozesskosten, die sie zu tragen hatten. Allein dieser Vorwurf führte letztendlich dazu, dass Balthasar Nuß nach einer zwölfjährigen Prozessdauer und Gefangenschaft in der sogenannten Harnischkammer des Stadtschlosses geköpft wurde.

 

Übrigens: 

Der sogenannte Hexenturm in der Kanalstraße dürfte vielen bekannt sein – dabei steht der „echte“ Fuldaer Hexenturm viel zentraler: Der Turm des Stadtschlosses war es nämlich, der zwischen 1603 und 1606 für die Hexenverfolgung als Gefängnis und teilweise als Ort für die Prozesse selbst diente. In Dokumenten aus dem Stadtarchiv wird der Turm in der Kanalstraße, der zur Stadtbefestigung gehört, auch „Turm am Frauentörlein“ genannt. Vermutlich ist der Name „Hexenturm“ im Volksmund erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, weil der Turm mitunter auch als Frauengefängnis genutzt wurde. Während der Hexenverfolgung gab es hier allerdings keine Inhaftierten.