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STADTGEFLÜSTER

Wenn die Glocken läuten – Tradition oder Lärmbelästigung?

Für die Kirche hat das Läuten der Glocken eine große Bedeutung. Manche empfinden das Geläut als störend. Ist diese Tradition noch zeitgemäß?

Morgens, mittags, abends, zur vollen Stunde, vor einer Messe oder wenn jemand gestorben ist – Das Läuten der Glocken hat in der Kirche eine lange Tradition. Wer in der Nähe einer Kirche wohnt, kann das Geläut als störend empfinden und die Frage stellen: Ist diese Tradition noch zeitgemäß?

Es ist 6.30 Uhr im Fuldaer Stadtteil Edelzell: Wie jeden Morgen fängt die Kirchenglocke der Pfarrgemeinde an zu läuten. Zwei Minuten lang. Für manchen Anwohner ist damit die Nacht vorbei. Aber warum wird überhaupt geläutet? Und weshalb so früh um 6.30 Uhr?

 

Wann und warum wird geläutet?

 

Letzteres kann Pfarrer Andreas Frisch nicht plausibel beantworten. Die Uhrzeit sei schon vor seiner Zeit in der Kirchengemeinde Christkönig Edelzell-Engelhelms auf 6.30 Uhr festgelegt worden. Die Frage nach dem Warum kann Frisch klären: Das Glockenläuten, das morgens, mittags und abends zu hören ist, heißt Angelusgeläut.

Die Tradition reicht bis ins Mittelalter zurück und soll die Gläubigen zum Gebet einladen. „Wir läuten morgens um 6.30 Uhr, um 12 und um 18 Uhr. Es ist für uns Christen auch eine Einladung, an Gott zu denken. In dem Sinne ist es in unserer Gesellschaft ein hörbares Zeichen. Mich persönlich erinnert es daran, dass Gott mein Leben begleitet.“

 

Rücksichtnahme auf Anwohner

 

So wie in Edelzell ist es überall in Deutschland. Unterschiede gibt es bei den Zeiten, wann die Glocken erklingen. In mancher Kirche läutet es noch früher als in Edelzell, in anderen wiederum wird Rücksicht auf die Anwohner genommen – und die Einladung zum Gebet erfolgt erst um 8.

Kritik am morgendlichen Geläut ist Frisch bisher nicht zu Ohren gekommen. Aus Rücksicht werde trotzdem bei ganz frühen Gottesdiensten darauf verzichtet. Neben dem Angelusgeläut wird nämlich üblicherweise auch vor jedem Gottesdienst geläutet.

 

Glockenläuten bei Todesfällen

 

Ernst Habersack aus Hünfeld nennt noch ein weiteres Beispiel, wann die Kirchenglocken zum Einsatz kommen – bei Todesfällen. „Wenn ein Gemeindemitglied verstorben ist, wird bei uns an einem folgenden Werktag um 10 Uhr für fünf Minuten geläutet“, sagt der 78-Jährige, der in der St. Ulrich-Kirche die Glockenanlage programmiert.

„Es hott aber long gelütt“, dieser Satz sei ihm in der Vergangenheit ab und zu als Rückmeldung zugetragen worden. Die Läutezeiten morgens und abends wurden daher auch von fünf Minuten auf zwei reduziert.

 

Tradition und Kindheitserinnerungen 

 

Kurios: Der Turm der St.-Ulrich-Kirche, die 1961 gebaut wurde, war zunächst nicht mit Glocken ausgestattet worden. Das änderte sich erst, als der wegen Baufälligkeit abgerissene Kirchturm vor rund 25 Jahren durch einen neuen ersetzt wurde. Nachdem Kritik aufkam, wurde auf den vorgesehenen Stundenschlag verzichtet.

Ernst Habersack erinnert das Geläut immer ein wenig an seine Kindheit. „Wenn damals um 18 Uhr geläutet wurde, musste man flott zu Hause sein.“ Habersack findet es richtig, dass an dieser Tradition festgehalten wird. „In anderen Religionen gibt es das ja auch. Im Urlaub hört man den Muezzin, da regt sich auch niemand darüber auf.“

 

Was passiert bei Beschwerden?

 

Wenn es im Bistum Fulda Streit gibt, weil sich Anwohner über Glockengeläut ärgern, wird Sturmius Feuerstein (zu sehen auf den Fotos) gerufen. Der 65-Jährige schaut sich das dann vor Ort an. Der Ingenieur aus der Rhön kümmert sich seit rund 30 Jahren um die Glocken und Anlagen der Kirchengemeinden in der Region. Kritik gebe es immer wieder mal. Entscheidend sei dabei, dass zwischen sakralem Glockengeläut und dem Läuten als Zeitangabe unterschieden wird.

„Das sakrale Glockenläuten ist durch die Religionsfreiheit bei uns geschützt. Dazu gibt es in Deutschland einige Urteile der Verwaltungsgerichte“, erklärt Feuerstein. So heißt es in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1996, dass liturgisches Läuten keine erhebliche Lärmbelästigung darstelle.

 

Wie laut darf es läuten?

 

Anders ist das bei weltlichem Geläut, etwa wenn es um den Stundenschlag geht. Dies unterliegt den immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen. Die Lautstärke der Glocken sollte in reinen Wohngebieten nachts nicht mehr als 35 Dezibel betragen. Dieser Wert entspricht einem leisen, aber nicht geflüsterten Gespräch. Ein Staubsauger dagegen liegt bei etwa 80 Dezibel.

„Kurzzeitig dürfen die Geräuschspitzen nachts aber um 20 Dezibel überschritten werden“, ergänzt Feuerstein. Grundsätzlich sei es sinnvoll, in solchen Fällen eine einvernehmliche Lösung zu finden. Das sei meist auch möglich.

2016 gab es zum Beispiel in Fulda-Horas eine Anwohnerbeschwerde. Diese betraf nicht das Angelusgeläut, sondern den nächtlichen Stundenschlag. Die Pfarrgemeinde entschied daraufhin, die Glocken zwischen 23 und 6 Uhr abzuschalten.

 

Einigungen, Kompromisse oder Rechtsstreit

 

Ein anderer Fall trug sich in der Rhön zu: „Hier hat sich ein Anwohner beschwert, weil er den Stundenschlag plötzlich – anders als vorher – nun sehr laut im Schlafzimmer hören würde. „Es hat sich herausgestellt, dass ein Baum gefällt wurde, der einiges abgehalten hatte“, sagt Feuerstein. Auch in dem Fall sei die Kirchengemeinde dem Anwohner entgegengekommen: „Es wurde die Läutedauer reduziert und der Stundenschlag für die Morgenstunden ausgesetzt.“

Eine Einigung ist nicht überall möglich. In Konrode, einem Ortsteil von Schenklengsfeld, gibt es seit Jahren Streit um eine weltliche Glocke, die dreimal am Tag für jeweils zwei Minuten läutet, um die Zeit anzugeben.

Vor zwei Jahren reichte eine Anwohnerin Klage gegen die Gemeinde beim Verwaltungsgericht Kassel ein – nachdem Lautstärke und Dauer bereits reduziert wurden. Das Brisante: Die Klägerin, die gegen die Gemeinde vorging, ist die Frau des früheren Bürgermeisters. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Nun wird eine Berufung geprüft.

 

Unterschied zwischen sakralem und weltlichem Geläut

 

Eine andere Möglichkeit, um den Schall etwas abzudämpfen, sind Schallläden, die es so seit den 1990er Jahren auch in den Glockentürmen des Fuldaer Doms gibt. „Diese Holzverkleidung lenkt den Schall und nimmt von der Lautstärke eine Menge weg. Außerdem ist es ein Witterungsschutz“, sagt Feuerstein.

Für den Dom gibt es ebenfalls eine genaue Läuteordnung. Dort ist das Angelusläuten zum Beispiel morgens ab 6.45 Uhr für drei Minuten zu hören. Neben vielen anderen Zeiten sind auch ein Viertelstundenschlag und ein Stundenschlag programmiert. Alle zehn Glocken zusammen läuten übrigens nur zu besonderen Anlässen: an Ostern, Pfingsten, Weihnachten – und an Silvester. Dann wird buchstäblich das neue Jahr eingeläutet.

 


 

Läuten evangelische Kirchen anders als katholische?

 

Auch bei evangelischen Kirchen hat jede Gemeinde ihre eigene Läuteordnung. „Bei uns wird um 12 und 18 Uhr jeweils drei Minuten lang geläutet. Vor dem Gottesdienst läuten wir zehn Minuten, vor Taufen, Beerdigungen und Trauungen fünf. Manchmal läuten wir auch, wenn Menschen gestorben sind, diese Tradition hat aber in letzter Zeit abgenommen“, sagt Pfarrer Stefan Bürger von der Evangelische Kreuzkirche Fulda-Neuenberg. „Ich habe den Eindruck, den Menschen bedeutet es auch etwas, dass Gottesdienst ist, selbst wenn viele nicht hingehen.“

Das Läuten sei eine Einladung zum Innehalten, zum Gebet und sich darauf zu besinnen, dass Gott auch im ganzen Trubel des Alltags da sei. „Wenn viele Menschen mal drei Minuten zur Ruhe kämen, dann wäre unsere Welt vielleicht weniger hektisch. Sollten wir darauf verzichten? Ich meine nicht. Ich weiß auch von evangelischen Kirchen in Fulda, die keine eigene Glocke haben und diese manchmal vermissen“, sagt Bürger. Er selbst wohnt direkt neben der Kreuzkirche und habe sich an das Läuten gewöhnt. „Ich bin aber auch froh, dass sie nicht stündlich oder gar viertelstündlich läutet.“

 


Kuriose Fakten rund ums Läuten

 

Der Dom als Klingelton – 2012 gab es die Möglichkeit, sich das Fuldaer Domgeläut als Klingelton herunterzuladen. Das Bischöfliche Generalvikariat und das Regionale Standortmarketing haben das anlässlich des 300-jährigen Domjubiläums ermöglicht. Der Link steht allerdings nicht mehr zur Verfügung.

Mahngeläut gegen Abtreibung – Am 28. Dezember wird im Kirchenjahr traditionell das „Fest der unschuldigen Kinder“ gefeiert. Der frühere Erzbischof Johannes Dyba setzte 1989 in der Bischofskonferenz durch, dass an diesem Tag in den meisten katholischen Kirchen die Glocken läuten im Gedenken an „die abgetriebenen Kinder, die in den Plastikeimern auf dem Klinikmüll landen“. Das Mahngeläut wurde unter Dybas Nachfolger Bischof Heinz Josef Algermissen in ein stilles Gebet umgewandelt.

Sakrales Glockengeläut ist aufgrund der Religionsfreiheit als Tradition geschützt – Sakrales Geläut (Angelusläuten, Betzeitläuten, Gebets- oder Gedächtnisläuten etc.) unterliegt prinzipiell nicht den immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen. Verglichen mit dem Ruhebedürfnis des einzelnen überwiegt der kirchenkulturelle Hintergrund. Das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung steht somit über dem individuellen Ruhebedürfnis.

Karfreitag und Karsamstag schweigen die Glocken – Von Gründonnerstag bis Ostersonntag gibt es in der Kirche kein Glockengeläut. Stattdessen laufen Messdiener mit Klappern durch die Straßen.

 

von Daniela Petersen, Fuldaer Zeitung

 


 

 

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