

Das Kreuz – Von der Kneipe zur Kult-Location
Es gibt Orte, die weit mehr sind, als sie auf den ersten Blick scheinen. Orte, die Erinnerungen schaffen, Legenden hervorbringen und das kulturelle Leben einer Stadt nachhaltig prägen. In Fulda ist ein solcher Ort das Kulturzentrum Kreuz.
Was einst als studentisches Kneipenkollektiv begann, entwickelte sich zu einer der wichtigsten Kulturstätten in Hessen – mit Konzerten, Partys, Kabarett, Theater und vielem mehr. Doch wie wurde aus einer studentischen Kneipe ein Kulturzentrum, das bis heute Generationen verbindet?
1977 – Die Geburtsstunde einer Idee
In den Siebzigerjahren war das Kulturangebot in Fulda stark auf kirchliche und klassische Veranstaltungen ausgerichtet. Für junge Leute, die sich für alternative Musik, politische Diskussionen oder einfach ein anderes Lebensgefühl interessierten, gab es nur wenige Möglichkeiten, sich zu entfalten.
Eine Gruppe Studierender im Fachbereich Sozialarbeit an der Hochschule Fulda wollte das ändern. Ihr ursprünglicher Plan war ambitioniert: Sie hatten vor, eine Art Kinderheim oder Jugendbetreuung zu gründen – und mit einer selbstverwalteten Kneipe zu finanzieren.
Die Wahl fiel auf das „Eiserne Kreuz“ im Stadtteil Horas. Anfangs erhielt die Kneipe den Spitznamen „Der Terrorist“ – die jungen Gründer mit ihren langen Haaren galten als unangepasste Revoluzzer. Doch schnell setzte sich der Name durch, den der Ort bis heute trägt: das Kreuz.
Kulturveranstaltungen in der Kneipe
Vom der Geburtsstunde im Jahr 1977 an unterschied sich das Kreuz bereits deutlich von anderen Kneipen. So zeigte sich das studentische Lebensgefühl beispielsweise bei den günstigen Essensangeboten: Ein griechischer Salat mit Brot kostete wenige Mark, Wasser nur 50 Pfennig.
Und schon früh kamen die ersten Kulturveranstaltungen dazu. Das Westberliner Politkabarett „Die 3 Tornados“ mit Arnulf Rating spielte an einem einfachen Ecktisch, das Kreuz-Team selbst führte das Musical „Der Watzmann ruft“ als Playback-Show auf.
Die ersten Jahre – Zwischen Idealismus und Realität
Im Kreuz wurde also von Anfang an viel experimentiert – und Startschwierigkeiten gehörten selbstverständlich dazu. Die Idealisten merkten schnell, dass der Betrieb einer Kneipe kein Selbstläufer war. Ohne betriebswirtschaftliche Erfahrung und mit dem Anspruch, alles so günstig wie möglich anzubieten, kämpfte das junge Team ums Überleben.
Aber es hatte gute Ideen – und den Mut, aus dem Kreuz bewusst mehr zu machen als eine reine Kneipe. Und so wurde es zum Kulturzentrum und damit ein Ort für Ideen, Kultur und Gemeinschaft.
Das „Säalchen“ und der große Saal
Zunächst wurde erweitert: 1982 kam das „Säalchen“ hinzu – das heutige Kreuz-Café. Zwei Jahre später folgte schließlich der große Saal, der in Eigenleistung renoviert wurde. Das war der Schritt in eine neue Dimension – aus der alternativen Studentenkneipe wurde eine vollwertige Konzert- und Veranstaltungsstätte.
Wolfgang Wortmann, seit 1980 beim Kulturzentrum Kreuz aktiv und heute in der Geschäftsführung, erinnert sich: „Anfangs war es eine Herausforderung, alles vom kleinen ‚Säalchen‘ in den großen Saal zu verlegen.“ Doch kurze Zeit später füllte sich auch die große Halle. Zur Eröffnung des Saals spielte die damals aufstrebende Band Fehlfarben.
Das Kreuz als Partyhochburg
Über die Jahre folgten Die Ärzte, Die Toten Hosen, Freundeskreis, Helge Schneider – und viele weitere Künstlerinnen und Künstler, die später zu Legenden wurden.
Ein Blick auf eine besondere Wand im Kreuz zeigt, wie viele Stars hier Station gemacht haben. Lange Zeit wurden die Namen aller Künstler, die auf der Bühne standen, dort verewigt – ein Stück lebendige Musikgeschichte, das bis heute von vielen Gästen mit nostalgischer Begeisterung betrachtet wird.
Neben den Konzerten waren es die legendären Partys, die das Kreuz über die Jahre prägten. In den Neunzigerjahren war das Kreuz der Treffpunkt für alle, die tanzen und feiern oder einfach nur unter Leute kommen wollten.
Eine besondere Magie lag darin, dass hier verschiedenste Subkulturen aufeinandertrafen: Rockabillys, Punks, Indie-Enthusiasten, Hip-Hop-Fans und viele mehr besuchten das Kreuz. Wolfgang Wortmann erzählt: „Ohne Social Media waren spontane Verabredungen noch schwierig. Wenn man seine Freunde treffen wollte, war also klar: freitags und samstags geht’s ins Kreuz.“
Ungewöhnliche Fastnachtstradition
Besonders in Erinnerung blieben auch die Faschingssitzungen: Statt eines Elferrats gab es beim Kreuz einen rein weiblichen „Elfenrat“, die Tanzmariechen waren Männer. Diese kleine Rebellion gegen die traditionellen Rollenbilder war damals ungewöhnlich – aber eben „typisch Kreuz“.
Und eine legendäre Party aus den Neunzigerjahren feierte 2025 ihr Revival: Mit „Schinke-Schunke“ kombinierte die Fuldaer Karnevalsgesellschaft traditionelle Fastnachtselemente mit modernem Partyflair und zog damals wie heute zahlreiche Besucher ins Kreuz.
Newcomer und große Künstler
Das Kreuz hat immer ein gutes Gespür für aufstrebende Künstler bewiesen. Helge Schneider spielte hier, bevor er mit „Katzenklo“ berühmt wurde. Seeed spielten auf der Kreuz-Bühne, lange bevor sie Stadien füllten.
Dabei entstanden natürlich jede Menge Erinnerungen – nicht nur bei den Künstlern, ihren Fans, sondern auch bei den ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern im Kreuz-Team selbst. Katja Schmirler-Wortmann hatte eine besondere Begegnung mit den Ärzten.
„Einige Mitarbeiterinnen waren riesige Fans. Als die Band in Bademänteln aufgetreten ist und sich in der Kneipe umziehen wollte, musste das weibliche Thekenpersonal mit ziemlich viel Nachdruck aus dem Raum entfernt werden.“ Die resolute Tourmanagerin habe nur wenige Anwesende erlaubt. „Und ich war eine davon“, erinnert sich die heutige Geschäftsführerin schmunzelnd.
Erinnerungen und Anekdoten
Auch Shaggy Schwarz hat als langjähriger Mitarbeiter beim Kreuz viel erlebt. Gern erinnert er sich an eine Anekdote mit Silbermond: „Nach dem Konzert wollte die Band noch etwas essen. Es gab in Fulda aber noch keinen Fast-Food-Laden, der nachts offen hatte – also sind wir mal eben bis nach Uttrichshausen zu Burger King gefahren.“
Für Shaggy selbst hat das Kreuz eine besondere Bedeutung, denn hier hat für ihn alles angefangen. Schon in seiner Jugend legte er als DJ auf, später war er als Kulturveranstalter für das Booking der Künstler mitverantwortlich. Heute ist Shaggy vor allem selbst als Künstler bekannt und leitet eine eigene Künstleragentur sowie das Fuldaer Impro-Theater. Nicht selten steht er mit seinen Programmen im Kreuz auf der Bühne – ab und zu sogar noch hinterm DJ-Pult. Und er ist sich sicher: „Ohne das Kreuz wäre ich nicht der, der ich heute bin.“
Der Verein: Kulturzentrum Kreuz e.V.
Mittlerweile ist mit dem Kreuz schon lange nicht mehr nur die Veranstaltungshalle in Horas gemeint, sondern ein Verein, der mit seiner Arbeit die Kulturlandschaft in Fulda und darüber hinaus prägt. Denn mit dem steigenden Erfolg als Veranstalter wuchs schon früh auch der gastronomische Einfluss auf die Stadt.
Die Gründer eröffneten über die Jahrzehnte mehrere Läden, die das Fuldaer Nachtleben nachhaltig prägten. Das Nachtcafé, Fuldas erste Kneipe ohne Sperrstunde, wurde 1987 eröffnet. Das Rädchen ebnete mit seiner Außengastronomie den Weg für eine lebendigere Fußgängerzone.
Der Kulturkeller und weitere Locations
Ein weiterer großer Schritt war die Übernahme des Museumscafés und des Museumskellers mit dem dazugehörigen Kulturkeller. Auch die Cafébar22, der Löwe oder das Vibe waren weitere Szenetreffs, die vom Kreuz-Team betrieben wurden. Über die Jahre wurden einige Betriebe weitergeführt, andere abgegeben oder geschlossen.
Bis heute gehört der Kulturkeller untrennbar zum Kreuz. Dort, unter dem Vonderau-Museum mitten in der Innenstadt, finden unter anderem Kabarett, Impro-Theater und Programmkino statt. Auch größere Veranstaltungsorte wie die Orangerie oder die Esperantohalle nutzt das Kreuz regelmäßig für Konzerte und Events.
Engagement mit Auszeichnung
Seit 2007 ist der Verein Kulturzentrum Kreuz e.V. Mitglied der LAKS Hessen, dem Verband der Soziokulturellen Zentren, und engagiert sich aktiv für kulturelle Vielfalt. Die Bedeutung des Kulturzentrums wurde 2023 mit einer besonderen Ehrung gewürdigt: Der Verein erhielt den APPLAUS-Award für „Beste kleine Spielstätten und Konzertreihen“.
Die mit Bundesmitteln geförderte Auszeichnung würdigt das Engagement des Kreuz für kulturelle Vielfalt und innovative Veranstaltungsformate.
Neben den Kulturveranstaltungen engagiert sich das Kulturzentrum Kreuz Kreuz auch gesellschaftspolitisch. Bereits in den Achtzigern war es eine der ersten Institutionen in Fulda, die einen Infoabend zum Thema Aids organisierte – damals noch ein mutiger Schritt, der auf Proteste stieß.
Der Verein setzt sich bis heute aktiv gegen Rassismus und für eine inklusive Kulturlandschaft ein. Außerdem bringt er gemeinsam mit regionalen Partnern kulturelle Angebote in ländliche Gebiete.
Ein Blick in die Zukunft
Die Corona-Zeit war für das Kulturzentrum Kreuz, wie für viele Kulturbetriebe, eine große Herausforderung. Keine Veranstaltungen, keine Einnahmen – aber die Krise wurde zur Chance. Während des Lockdowns wurde renoviert, neu gedacht und umstrukturiert. „Wir haben die Fenster aufgemacht und gesehen, wie schön der Raum eigentlich ist“, erzählt Katja Schmirler-Wortmann.
Heute ist das Kreuz ein Kulturraum mit vielen Facetten: Konzerte, Lesungen, Kindertheater, Flohmärkte – die Vielfalt ist geblieben und nur noch größer geworden. Das Kreuz soll Fulda noch viele Jahre als Kulturstätte erhalten bleiben. Die Betreiber arbeiten intensiv am langfristigen Erhalt, planen technische Modernisierungen und stehen im engen Austausch mit der Stadt, um die Zukunft des Gebäudes zu sichern.
Seit jeher ein Ort mit Charakter
„Das Kreuz ist ein traditionsreicher Veranstaltungsort, der für das kulturelle Leben in Fulda eine prägende Rolle besitzt“, erklärt Oberbürgermeister Dr. Heiko Wingenfeld. „Von daher wäre es sehr zu begrüßen, wenn es gelänge, diese Tradition in die Zukunft zu tragen.“
Über die Jahrzehnte hinweg hat sich das Kulturzentrum Kreuz immer wieder neu erfunden und doch stets seinen Charakter bewahrt. Es bleibt ein Ort der Begegnung, ein Stück Identität für viele Generationen und in manchen Augen sicherlich das immer schlagende Herz der Fuldaer Kulturszene.
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