Reparieren statt Wegwerfen: Die Erneuer:Bar in Fulda
Dem Wegwerfwahn wird an drei Abenden in der Woche in der Lindenstraße in Fulda ein Schnippchen geschlagen. Hierher kommen dann nämlich Menschen mit defekten Gegenständen oder Geräten, um sie in der Erneuer:Bar unter fachkundlicher Anleitung zu reparieren. Der Abfalleimer bleibt somit leer.
Der Plattenspieler stammt von Heidi Müllers Großeltern. Er ist also quasi ein Erbstück, an dem viele Erinnerungen und Gefühle hängen – aber er funktioniert einfach nicht mehr. „Wenn den überhaupt jemand reparieren könnte, dann finde ich die Hilfe hier“, sagt sie, als sie den Plattenspieler an einem Donnerstagabend auf einen Tisch in einer kleinen Werkstatt im hinteren Teil des Gebäudes in der Lindenstraße 2 in Fulda stellt.
Ehrenamtliche Reparaturhelfer
Seit dem Einzug von vielen unterschiedlichen Initiativen, die vorher in der Langebrückenstraße beheimatet waren, dreht sich hier alles um Nachhaltigkeit. Hier werden Lebensmittel vor dem Verfall gerettet und verteilt, Kleidungsstücke aufgewertet und getauscht – und Dinge, die den Geist aufgegeben haben, werden repariert, statt auf dem Müll zu landen. Verantwortlich dafür sind die Reparatur-Helfer, welche Leuten und ihren kaputtgegangenen Dingen hier ehrenamtlich und mit Leidenschaft an drei Tagen in der Woche helfen.
Heute stehen der 52-jährige Stefan Schüßler und der 23-jährige Daniel Unruh über Heidi Müllers Plattenspieler gebeugt. Warum er keine Musik abspielt, ist in diesem Fall schnell geklärt. „Der Kondensator ist ausgetrocknet“, sagt Schüßler. Davon hat er hier in der Erneuer:Bar immer einige vorrätig. Der alte Kondensator wird also aus- und ein Neuer eingebaut. Das war kurz und schmerzlos, sind sich Heidi Müller und die beiden Reparatur-Helfer einig.
Schüßler, der beruflich als Prozessingenieur arbeitet, liebt am Reparieren hier in der Erneuer:Bar vor allem die Recherche, also die Suche nach dem Fehler. Dass die Geräte, die vor ihm auf dem Tisch landen, immer andere sind, macht sein Ehrenamt abwechslungsreich und die Tätigkeit spannend. Gerade wird am Reparaturtisch nebenan eine eher neuwertige Stereoanlage aufgestellt. „Zwischen dieser und dem Plattenspieler liegen bestimmt zwei Jahrzehnte“, sagt Schüßler und baut den Plattenspieler gemeinsam mit Unruh wieder zusammen.
Statt Lohn gibt es Spenden und glückliche Gesichter
Eigentlich sieht das Konzept der Erneuer:Bar vor, dass die „Kunden“ bei der Reparatur mit Hand anlegen und von den Helfern erklärt bekommen, wie sie es beim nächsten Mal selbst machen können. Quasi Hilfe zur Selbsthilfe – bei Geräten wie einer Stereoanlage oder einem Plattenspieler übernehmen sie viele Dinge aber lieber selbst. Im Prinzip sollen die Reparatur-Helfer in der Erneuer:Bar aber keine Dienstleister sein, die man im Nachgang für ihre Arbeitsstunden bezahlt.
Hier ist der Lohn eine Spende, das Aufkommen für die eingesetzten Materialkosten und ein glückliches Gesicht, wenn der gebrachte Gegenstand wieder heil ist. Und das bekommen die Helfer von Heidi Müller, als sie eine Probe-Platte auflegt und der Plattenteller beginnt, sich zu drehen. Schwierig sei die Reparatur für Schüßler nicht gewesen, gibt es zu. Aber umso schöner sei es, wenn sich der Kunde so freue.
Freudestrahlend klatscht Müller mit Schüßler ein und sagt: „Mensch, da freu ich mich!“ Sie sei in einem Plattenhaushalt großgeworden. Der Plattenspieler, der einst ihren Großeltern gehörte und nun wieder einwandfrei funktioniert, bekommt einen Platz in Müllers Wohnzimmer. Und was als erstes abgespielt wird, weiß die 50-Jährige schon genau: „Etwas von den Dire Straits“, sagt sie. Einen Tipp gibt es gratis: „Die Nadel vom Plattenspieler sollte mal vom Fachmann getestet werden. Die muss ab und zu mal ausgetauscht werden.“
Ein Ort des Austauschs
Mit ihrem Plattenspieler im Arm geht Müller raus auf den Gehweg in der Lindenstraße, wo junge Erwachsene auf Holzmöbeln sitzen und sich lachend mit Limonade oder Bier zuprosten. Einige essen Waffeln, die drinnen gebacken werden. Die Erneuer:Bar ist nämlich nicht nur ein Ort, an dem Dinge repariert werden, sondern auch ein alternativer Platz in der Innenstadt, an dem sich Menschen treffen und austauschen.
Der Raum, der sich in dem großen Gebäude hinter ihnen befindet, bietet eine wichtige Alternative zum Wegwerfen. Als das Projekt von der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Fulda ins Leben gerufen wurde, war der Grundgedanke dabei, dass die Erneuer:Bar nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel der „Kunden“ schont.
Ein Text von Suria Reiche, Fuldaer Zeitung
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